NEWSLETTER JULI 2015
Im vergangenen Monat war viel los - vor allem auf EU-Ebene gab es eine
Reihe wichtiger netzpolitischer Entwicklungen und Entscheidungen.
So zum Beispiel beim Dauerthema Vorratsdatenspeicherungen: Der
Innenausschuss des EU-Parlaments hat sich für die anlasslose Speicherung
der Fluggastdaten entschieden. Bei Flügen aus der sowie in die EU sollen
diese Angaben künftig für fünf Jahre aufbewahrt werden.
Außerdem haben wir uns, ebenso wie unser Dachverband European Digital
Rights (EDRi), an die EU-Kommission gewandt, und sie dazu aufgefordert,
die verdachtsunabhängige Bevorratung von Kommunikationsdaten in den
Mitgliedsstaaten und insbesondere in Deutschland zu beenden.
Gemeinsam mit dem Förderverein Freie Netze e.V. und dem
Verbraucherzentrale Bundesverband e.V. haben wir zudem in Sachen
Störerhaftung von WLAN-Betreibern und Hostprovidern an die EU-Kommission
geschrieben und dabei angeregt, den entsprechenden Gesetzentwurf der
Bundesregierung zur Änderung des Telemediengesetzes zu stoppen.
Im Bereich des Urheberrechts hat das EU-Parlament leider die Chance
vertan, sich in seinem entsprechenden Evaluationsbericht für eine
umfassende Reform einzusetzen. Ein Urheberrecht, das dem digitalen
Zeitalter gerecht wird, ist daher weiterhin nicht in Sicht.
Bei der Abstimmung über den Bericht zum Freihandelsabkommen TTIP
entschieden sich die Parlamentarier nicht für einen strikten Schutz von
Rechtsstaatlichkeit und Grundrechten. Der verabschiedete Text enthält
weder eine klare Absage an internationale Schiedsgerichte noch ein
klares Verbot von Verhandlungen über Datenschutz und Urheberrecht.
Und wie schon im letzten Newsletter erwähnt, gibt es auch zur
Netzneutralität leider nichts Erfreuliches zu berichten - der
abgestimmte Text des Kompromisses der Trilog-Verhandlungen wurde
inzwischen veröffentlicht; er ist vage und schafft neue
Rechtsunsicherheiten.
Zu guter Letzt haben wir beim Bundesverfassungsgericht eine
Stellungnahme zu einer Verfassungsbeschwerde abgegeben, bei der das
Gericht über die Zulässigkeit des Samplings zu entscheiden hat.
1. Vorratsdatenspeicherung von Kommunikationsdaten
2. Vorratsdatenspeicherung von Fluggastdaten
3. Netzneutralität
4. Störerhaftung
5. Urheberrecht
6. Sampling/Recht auf Remix
7. TTIP
8. Netzpolitischer Abend
9. Video vom letzten Netzpolitischen Abend
10. DigiGes in den Medien
1. Vorratsdatenspeicherung von Kommunikationsdaten
Unser europäischer Dachverband European Digital Rights (EDRi) hat am 2.
Juli einen Brief an den Ersten Vizepräsidenten der Europäischen
Kommission geschickt (.pdf). In dem Schreiben wird die EU-Kommission
dazu aufgerufen, die Gesetze zur Vorratsdatenspeicherung in den
Mitgliedstaaten der EU zu untersuchen, da diese vor dem Hintergrund der
Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs vom 8. April letzen Jahres
illegal erscheinen.
Am 20. Juli haben wir dann die EU-Kommission in einem weiteren Schreiben
dazu aufgerufen, den Gesetzentwurf der Bundesregierung zur
Wiedereinführung der Vorratsdatenspeicherung in Deutschland zu stoppen.
Der Gesetzentwurf durchläuft zurzeit ein Notifizierungsverfahren bei der
Kommission, die den Entwurf auf seine Vereinbarkeit mit dem Unionsrecht
überprüft. Nach unserer Ansicht verstößt das Vorhaben gegen die Vorgaben
eines Urteils des Europäischen Gerichtshofs vom April 2014, in dem die
verdachtsunabhängige Bevorratung von Verkehrs- und Standortdaten aus der
elektronischen Kommunikation für unvereinbar mit den EU-Grundrechtena uf
Privatsphäre und den Schutz personenbezogener Daten erklärt wurde.
Unser Blogbeitrag zum Schreiben von EDRi "EDRi ruft die Europäische
Kommission dazu auf, illegale Gesetze zur Vorratsdatenspeicherung in der
EU zu prüfen" (02. Juli 2015):
https://digitalegesellschaft.de/2015/07/edri-vds/
Unser Blogbeitrag zum Schreiben des Digitale Gesellschaft e.V.
"Vorratsdatenspeicherung: EU-Kommission soll Einführung in Deutschland
stoppen" (20. Juli 2015):
https://digitalegesellschaft.de/2015/07/vds-stopp-kommission/
2. Vorratsdatenspeicherung von Fluggastdaten
Der Innenausschuss des Europäischen Parlaments (LIBE) hat heute über die
Einführung eines EU-weiten Systems zur Vorratsdatenspeicherung von
Fluggastdaten (Passenger Name Record, kurz PNR) abgestimmt. Während
Anträge, die auf eine Ablehnung des Vorhabens gerichtet waren, keine
Mehrheit fanden, billigten die Abgeordneten im Wesentlichen die
Schaffung eines europaweiten PNR-Systems.
Dabei nahmen die Parlamentarier zwar innereuropäische und nationale
Flüge von der Speicherung aus, bei internationalen Flügen aus der EU
sowie in die EU hingegen sollen künftig pro Passagier und Flug bis zu 60
Einzelangaben festgehalten werden. Die Daten werden zunächst 30 Tage
lang offen gespeichert, danach werden personenbezogene Angaben wie Name
und Adresse in einer weiteren Datenbank fünf Jahre lang verdeckt aufbewahrt.
Unser Blogbeitrag dazu "Vorratsdatenspeicherung von Reisedaten:
Innenausschuss stimmt für Totalüberwachung des Flugverkehrs" (15. Juli
2015):
https://digitalegesellschaft.de/2015/07/vds-reisedaten-innenausschuss/
3. Netzneutralität
Seit es in den Trilog-Verhandlungen um eine unionsrechtliche Verankerung
der Netzneutralität Ende Juni zu einer Einigung zwischen Europäischem
Parlament und EU-Ministerrat gekommen war, wurde viel um die
Interpretation des Verhandlungsergebnisses gestritten. Seit Anfang Juli
liegt der abgestimmte Text vor, so dass wir unserer ersten Bewertung nun
eine eingehende Analyse folgen lassen. Vorweg: die Beurteilung fällt
leider auch jetzt nicht positiver aus.
Würde der Text in der jetzigen Fassung zum Gesetz, so würde er in den
entscheidenden Punkten neue Rechtsunsicherheiten schaffen. Der
EU-Gesetzgeber würde sich damit aus seiner Verantwortung stehlen, klare
und unmissverständliche Regeln zu setzen und stattdessen die Probleme,
zu deren Lösung er offenbar nicht in der Lage ist, auf die Gerichte
verschieben.
Unser Blogbeitrag dazu "Trilog-Kompromiss zur Netzneutralität:
Rechtsunsicherheit per Gesetz" (13. Juli 2015):
https://digitalegesellschaft.de/2015/07/trilog-kompromiss-nn-analyse/
4. Störerhaftung
Am 6. Juli haben wir uns gemeinsam mit dem Förderverein Freie Netze e.V.
und dem Verbraucherzentrale Bundesverband e.V. mit einem Schreiben an
die EU-Kommission gewandt. Darin rufen wir die Kommission dazu auf, den
Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Neuregelung der Störerhaftung von
WLAN-Betreibern und Hostprovidern zu stoppen.
Die geplanten Änderungen sind nicht mit dem EU-Recht vereinbar.
Insbesondere verstoßen sie gegen die Vorgaben der E-Commerce-Richtlinie
und gegen europäische Grundrechte. Die Regelungen zur WLAN-Störerhaftung
schaffen zudem neue Rechtsunsicherheiten für Funknetzbetreiber, die ihre
Zugänge für Dritte öffnen wollen. Dadurch wird eine flächendeckende
Versorgung mit offenen WLAN-Netzen verhindert, was negative Auswirkungen
auf Meinungs- und Informationsfreiheit, politische Teilhabe und die
hiesige Online-Wirtschaft hat.
Unser Blogbeitrag dazu "NGO-Appell: EU-Kommission muss Fehlentwicklungen
bei Störerhaftung stoppen" (6. Juli 2015):
https://digitalegesellschaft.de/2015/07/ngo-appell-stoererhaftung-stoppen/
5. Urheberrecht
Das Plenum des Europäischen Parlaments hat am 9. Juli über den
Evaluationsbericht zur EU-Urheberrechtsrichtlinie (InfoSoc) abgestimmt.
Mit dem Papier spricht das Europäische Parlament Empfehlungen an die
EU-Kommission für die anstehende Urheberrechtsreform aus.
Obwohl die Parlamentarier nun den Reformbedarf beim europäischen
Urheberrecht betonen, blieben einige sehr gute und wünschenswerte
Ansätze - etwa eine Fair-Use-Regelung nach US-amerikanischem Vorbild
oder eine Ausweitung des Zitatrechts – leider auf der Strecke. Eine
ausdrückliche Absage an die Praktik des Geoblocking fand unter den
Abgeordneten bedauerlicherweise keine Mehrheit. Beim
Leistungsschutzrecht für Presseverleger sah das Plenum hingegen klarer
und lehnte einen befürwortenden Antrag ab. Auch eine Formulierung, die
als Empfehlung zur Abschaffung der Panoramafreiheit verstanden werden
kann, fiel bei der Abstimmung durch.
Unser Blogbeitrag dazu "EU-Urheberrecht: Parlament empfiehlt Reförmchen
statt Reform" (9. Juli 2015):
https://digitalegesellschaft.de/2015/07/eu-urheberrecht-refoermchen/
6. Sampling/Recht auf Remix
Der Digitale Gesellschaft e.V. hat beim Bundesverfassungsgericht eine
Stellungnahme (.pdf) zu einer Verfassungsbeschwerde abgegeben, bei der
das Gericht über die Zulässigkeit des Samplings zu entscheiden hat. Im
Kern geht es in dem Verfahren um die Frage, ob und unter welchen
Voraussetzungen es erlaubt ist, kleinste Tonausschnitte aus einer
fremden Tonaufnahme zu entnehmen und sie in eigene Aufnahmen einzubauen.
Die rechtliche Auseinandersetzung dreht sich dabei nicht um das
Urheberrecht, sondern um das vom Inhalt der Aufnahme unabhängige Recht
des Tonträgerherstellers und die Reichweite des Rechts auf freie Benutzung.
In unserer Stellungnahme kritisieren wir die Rechtsprechung des BGH
unter anderem als Hindernis für die soziokulturelle Fortentwicklung. Bei
der Herleitung des Maßstabs für die Zulässigkeit des Samplings lässt das
Gericht außer Acht, dass digitale Technologien und digitale Vernetzung
schon seit Jahren in der Breite der Bevölkerung angelangt sind.
Auf der Webseite unserer Kampagne Recht auf Remix, mit der wir für ein
Recht auf kreative Nutzung existierender Werke einstehen, wurde das
fünfzigste Interview veröffentlicht. Darin spricht Mashup-Künstler David
Wessel über seine Erfahrungenen mit dem Veröffentlichen von Mashups.
Unser Blogbeitrag dazu "Metall auf Metall: Stellungnahme des Digitale
Gesellschaft e.V." (17. Juli 2015):
https://digitalegesellschaft.de/2015/07/metall-auf-metall-stellungnahme/
Interview auf Recht auf Remix mit David Wessel "Remixer #50 David
Wessel: “Ich erhalte täglich zwischen drei und fünf Strikes”" (24. Juli
2015):
http://rechtaufremix.org/remixer-50-david-wessel-ich-erhalte-taeglich-zwisc…
7. TTIP
Nach einer heftig geführten Debatte hat das Plenum des Europäischen
Parlaments am 8. Juli den Bericht zum geplanten Freihandelsabkommen TTIP
abgestimmt. Das Votum hat für die EU-Kommission, welche die
Verhandlungen auf europäischer Seite führt, zwar nur empfehlenden
Charakter. Das Parlament bringt damit jedoch auch zum Ausdruck, welche
Grenzen die Kommission nicht überschreiten darf, um die spätere
Zustimmung des Parlaments zum Verhandlungsergebnis nicht zu gefährden.
In zahlreichen wichtigen Punkten verspielte das Parlament leider die
Chance, dringend erforderliche Nachbesserungen am ursprünglichen Text
des Berichts vorzunehmen. Statt den geplanten überstaatlichen
Schiedsgerichten (ISDS) eine klare und nachhaltige Absage zu erteilen,
stimmten die Abgeordneten für einen wachsweichen Kompromiss. Es bleibt
dabei, dass für derartige Streitigkeiten eine Sondergerichtsbarkeit
geschaffen werden soll, die sich einer demokratischen Kontrolle entzieht.
Auch bei der regulatorischen Kooperation, in deren Rahmen
Gesetzesvorhaben in einem mit Vertretern der EU, der USA und der
transatlantischen Wirtschaft besetzten Gremium vorab abgestimmt werden,
konnte sich das Parlament nicht zu einem deutlichen Nein durchringen.
Ebenso versäumten die Abgeordneten, sich klar gegen die Verhandlung über
Datenschutzregeln und geistige Eigentumsrechte auszusprechen.
Unser Blogbeitrag dazu "Abstimmung zu TTIP: Rechtsstaatlicher
Etikettenschwindel" (08. Juli 2015):
https://digitalegesellschaft.de/2015/07/ttip-etikettenschwindel/
8. Netzpolitischer Abend
Der nächste Netzpolitische Abend findet am Dienstag, 4. August, wie
gewohnt um 20.00 Uhr, in der c-base in Berlin statt.
Unser Programm:
Maren Heitsche: 5 Jahre Digital Media Women
Alexander Sander: Neues zur Vorratsdatenspeicherung
Anna Biselli: Hacking Team Hacked - was uns 400 GB über die
Überwachungsindustrie erzählen können
Ihr findet die c-base in der Rungestraße 20, 10179 Berlin. Einlass ist
wie immer ab 19 Uhr, los geht’s gegen 20 Uhr, selbstverständlich auch im
Stream unter http://c-base.org. Der Eintritt ist frei.
#npa039 ist der Hashtag für den Abend - gebraucht ihn gerne und
reichlich, auch für Feedback und Fragen, wenn ihr nicht vor Ort sein könnt.
9. Videos vom letzten Netzpolitischen Abend
Volker Tripp (Digitale Gesellschaft e.V.): Neues zur WLAN Störerhaftung:
https://www.youtube.com/watch?v=JfpJqVyphAQ
D. Schmüdde: Harvesting Human Intelligence – Reframing the surveillance
discourse:
https://www.youtube.com/watch?v=CKMpTXchv9I
10. DigiGes in den Medien
Focus.de
EU: Verbraucherschützer: WLAN-Störerhaftung verstößt gegen Europarecht
(06.07.2015)
http://www.focus.de/politik/deutschland/eu-verbraucherschuetzer-wlan-stoere…
Süddeutsche Zeitung
Fotos von Reichstag und Louvre dürfen gepostet werden (09.07.2015)
http://www.sueddeutsche.de/digital/urheberrecht-in-europa-reichstag-und-lou…
Zeit Online
Fluggastdaten: Die nächste Vorratsdatenspeicherung naht (15.07.2015)
http://www.zeit.de/digital/datenschutz/2015-07/fluggastdaten-eu-parlament-l…
Berliner Morgenpost
Netzaktivisten: EU-Kommission soll Vorratsspeicherung stoppen (20.07.2015)
http://www.morgenpost.de/politik/inland/article205488467/Netzaktivisten-EU-…
Süddeutsche Zeitung
Wenn das Urheberrecht die Kunst einschnürt (16.07.2015)
http://www.sueddeutsche.de/kultur/debatte-urheberunrecht-1.2569005